„Wir beugen das Haupt vor den Toten“ (Rede am Volkstrauertag)

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Sehr geehrte Geistlichkeit,
sehr geehrter Herr Bürgermeister Schnell,
sehr geehrte Angehörige, sehr geehrte Damen und Herren,

man muss weder Sprach- noch Geschichts-wissenschaftler sein, um zu wissen, dass der Tag, den wir heute gemeinsam in aller Stille und Trauer begehen eine wechselvolle Geschichte hinter sich hat. Das unselige Wort vom Heldengedenktag zeigt, wie leicht Begriffe, Geschichte, ja gar Tote instrumentalisiert werden können. Wir gedenken heute der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft.

Viele unserer Vorfahren fielen in einem Krieg, den wohl die wenigsten wollten, in den sie aber hineingezogen wurden. Vielleicht erkannten sie es nicht. Vielleicht wollten sie es nicht erkennen. Aber Stück für Stück schoben sich Hass und Unmenschlichkeit in eine Gesellschaft, die in Zeiten wirtschaftlicher Not verunsichert war und sich auf vielfältige Weise von außen bedroht glaubte. Heute ist die Situation ähnlich.

Zwar stehen wir wirtschaftlich gut da. Aber selbst diese Sicherheit muss nicht von Dauer sein – und kommt nicht bei allen Bürgern an. Viele fühlen sich als Verlierer, bedroht, verraten. Neid, Ablehnung, Unmenschlichkeit dringt Stück für Stück auch in ihr Denken – oftmals sogar unbemerkt. Wir gedenken heute der gefallenen Soldaten. Soldaten wie meinem Urgroßvater Georg Volkert, der am 18. Juni 1942 etwa 250 Kilometer süd-westlich von Moskau von Partisanen aus dem Hinterhalt von seinem Motorrad geschossen wurde. Sein Name steht hier, neben viel zu vielen anderen auf dem Gedenkstein.

Es hat 71 Jahre und wohl auch das „Nachhaken“ bei den örtlichen Verantwortlichen gebraucht, bis mein Urgroßvater und seine Kameraden endlich gesucht wurden,  gefunden wurden und in diesem Herbst auf einem ordentlichen Soldatenfriedhof ihre letzte Ruhe finden. Für viel zu viele andere gibt es keinen solchen Ort. Ihre Angehörigen haben keinen Ort, des Abschieds, keinen Ort des Gedenkens.

Diese Menschen, so alt wie ich oder jünger, starben und hinterließen große Lücken und Leere. Und wofür? Für einen Krieg der Leid brachte. Leid für die Soldaten, die ihn kämpften, verhetzt durch Propaganda und Leid für die Zivilisten, die die Gewalt des Krieges und des Unrechtsregimes in der Heimat zu spüren bekamen, wenn sie eine andere Meinung, Ethnie, oder sexuelle Orientierung hatten; wenn sie dem „falschen“ Glauben angehörten oder den christlichen offensiv lebten.

Zu Ehren meines Urgroßvaters bin ich letztes Jahr mit meinem Onkel Heinrich Volkert in die russische Pampa gefahren und habe das Grab seines Vaters aufgespürt. Das war meine persönliche Art meine Vorfahren zu Ehren.

Ich habe es vor zwei Wochen beim Gelöbnis der Bundeswehr hier bei uns in Kammerstein mehrfach unterstrichen: Unsere Soldaten, die gefallenen und die aktiven sind zu ehren. Sie geben im schlimmsten Fall ihr Leben für den Staat, dem sie dienen.

Von höchstem Interesse ist für sie der Schutz, der Erhalt der staatlichen Gemeinschaft, das Gemeinwohl wenn man so will. Dieser Wunsch nach Frieden ist kein spezifisch deutscher.In Russland sagten mir alte Kleinbauern, Menschen vor deren Genügsamkeit man nur den Hut ziehen kann, „Die Zeiten sind damals eben so gewesen, aber heute wollen wir vor allem in Frieden leben.“ Die Krim war für diese Bauern genauso weit entfernt, wie für viele von uns bis vor kurzem Mali oder Syrien.

Der Unterschied ist, dass wir als Deutsche uns nicht mit dem persönlichen Frieden begnügen dürfen, den ich dem russischen Bauern von Herzen wünsche. „Hauptsache bei mir im Dorf stört keiner die Ruhe.“ Diese Kirchturmpolitik, diese Flucht in die Kleinteiligkeit, dieses naive Biedermeier-Deutschgetümmle, dieses Wegsehen bei Herausforderungen und Fehlentwicklungen bringt uns nicht weiter – so viel sollten wir aus unserer Geschichte gelernt haben. Nein, wir sollten uns einsetzen, Menschen die unter Gewaltherrschaft und Krieg leiden beizustehen – auch dazu mahnt der Volkstrauertag.

Ich möchte heute, an diesem Tag der überparteilichen Verständigung und Mahnung, nicht über Grenzen und Kapazitäten sprechen – dafür unternimmt der Freistaat und unternimmt die Bundesrepublik auch zu große Anstrengungen, um unserer moralischen Verantwortung vor der Vergangenheit und in der Welt gerecht zu werden;  aber ich möchte zum Schluss auf eine andere Grenze eingehen; die der Toleranz gegenüber denjenigen, die auch heute wieder Hass und Unmenschlichkeit Vorschub leisten, die Unfrieden sähen zwischen Religionen und sozialen Milieus, die heute lieber den Heldengedenktag feiern würden. Für all jene habe ich eine Botschaft: Ihr seid nicht Deutschland – und erst recht nicht Bayern oder Roth!

Ja, wir leben in Zeiten, in denen wir, wie in Ansbach, Opfer einer neuen Art von Krieg beklagen müssen. Aber ich glaube daran, dass die Gemeinschaft der Demokraten stärker ist, als die Internationale des ideologisch-verblendeten Hasses;

Wir beugen unser Haupt vor den Toten, niemals aber vor dem Terror.
Wir beugen unser Haupt vor den Toten, niemals aber sähen wir Ausgrenzung, Hass und Gewalt.
Wir beugen unser Haupt vor den Toten, und erinnern heute an unsere gemeinsame Verantwortung:

Wir dürfen – und müssen manchmal vielleicht sogar – uns im Privaten und Politischen streiten. Unser Wertefundament, unsere Verantwortung (auch zur Ehrlichkeit) und die uns verbindende Menschlichkeit dürfen wir dabei aber auf keiner Ebene vergessen; nicht in Gedenken, nicht in Worten und schon gar nicht in Werken!

Wenn uns dies gelingt, dann werden wir dem gerecht, wozu uns die viel zu vielen Toten durch Krieg und Gewaltherrschaft mahnen: menschlichem Miteinander. Dann, so glaube ich, wären unsere gefallenen Vorväter stolz auf uns, weil wir dazu beitragen, dass die Gemeinschaft für die sie sich geopfert haben sich zwar verändert, aber friedlich fortbesteht.

Als äußeres Zeichen legen wir heute zusammen im Namen aller dankbaren Nachfahren an unserem Kriegerdenkmal diesen Kranz nieder. Wir trauern mit allen, die Leid tragen um die Toten und teilen ihren Schmerz. Aber unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der ganzen Welt.

Zum Schluss möchte ich dem Soldaten und Kameradschaftsverein für die Arbeit zum Erhalt der Kriegsgräber und Denkmale danken. Und dem Posaunenchor für die musikalische Umrahmung. Vielen Dank auch Ihnen allen für die Teilnahme (am durch Frau Pfarrerin Merz wunderbar gestalteten Gottesdienst und) der Gedenkfeier. Ich wünsche Ihnen und euch allen einen schönen Sonntag.